Redebeitrag GsP – 20.02.24 –

Unbeachtet und vernachlässigt von der sogenannten Allgemeinpsychiatrie, fast schon vergessen, ist der Bereich des psychiatrischen Maßregelvollzugs. Einige der Pat*innen dieser Institutionen haben eine lange Psychiatriegeschichte hinter sich. Allgemein wird hier vom Drehtüreffekt gesprochen. Viele Pat*innen die sich selbst Hilfe in einer Psychiatrie suchen oder dort zwangsweise untergebracht werden, stoßen dort auf Personalmangel und Überbelegung. Nach dem Klinikaufenthalt mangelt es viel zu oft an einer geeigneten Anschlussversorgung. Sodas viele Patient*innen keine Heilung erfahren und sich immer wieder auf einer psychiatrischen Station wieder finden. Bis die Situation eskaliert, es zu Straftaten kommt und ein Gericht die Unterbringung im Maßregelvollzug anordnet. 

Es fällt auf, dass es in Deutschland eine erhebliche Diskrepanz gibt: Auf der einen Seite haben wir eine hohe Verbreitung von psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung, auf der anderen Seite stehen jedoch nur begrenzte öffentliche Mittel für ihre Behandlung und Prävention zur Verfügung.

Deutschland leidet jährlich etwa ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung an psychischen Erkrankungen. Das bedeutet, dass etwa 17,8 Millionen Menschen betroffen sind, von denen nur ca. 19 % im Jahr professionelle Hilfe in Anspruch nehmen (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.)

Derzeit liegt die durchschnittliche Wartezeit bis zum Beginn einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung zwischen vier und sechs Monaten (DGPPN, 2023). Wer es sich nicht leisten kann, 60€ oder mehr für eine Therapiestunde zu zahlen muss sich auf langes Warten einstellen und damit rechnen das sich der Gesundheitszustand weiter verschlimmert.

Dies ist jedoch ein Hintergrund, der in der öffentlichen Debatte scheinbar ausgeblendet wird. Dadurch wird die akute Dringlichkeit, sich mit Fragen der psychischen Gesundheit zu befassen, sowie deren Zusammenhang mit dem allgemeinen Wohlbefinden der Menschen heruntergespielt.

Die Bereitstellung der für eine wirksame Behandlung erforderlichen Finanzmittel, Infrastrukturen und Personal ist ein Gebot des Sozialschutzes. Psychische Erkrankungen verschlechtern die Lebensqualität, erhöhen das Risiko einer körperlichen Erkrankung und verursachen wirtschaftliche und soziale Kosten für die Betroffenen.

Es ist wichtig, auch die Benachteiligung von Personen mit psychischen Erkrankungen zu beachten, und einer der offensichtlichsten Unterschiede ist der Zugang zur Behandlung.

Das derzeitige Szenario führt zu einer erheblichen Überlastung des Personals im Bereich der psychischen Gesundheit und wirkt sich negativ auf die Bedingungen aus, unter denen die bestehenden psychiatrischen Versorgungsleistungen erbracht werden. Die Gesundheitspolitik ist Heute aber nicht auf gute Versorgung für alle ausgerichtet. Besonders deutlich wird die Unterversorgung im Maßregelvollzug, dass am untersten Ende des Systems Psychatrie steht. 

Jürgen Müller, Professor für forensische Psychiatrie in Göttingen, spricht in einem Interview mit der Ärztezeitung davon das die Unterbringungsdauer seit Jahren zu nimmt. Jeder dritte Patient im Maßregelvollzug muss dort mehr als 10 Jahre verbringen. Das nicht, weil sie alle als zu gefährlich oder Therapieunfähig eingestuft werden, sondern auch weil es an Aufnahmeeinrichtungen für die Nachsorge fehlt. Im Jahr 2012 wurden im Bereich des psychiatrischen Maßregelvollzugs erstmals mehr Personen für eine Dauer von fünf Jahren und darüber untergebracht als Strafgefangene mit einer erwarteten Vollzugszeit von mehr als 5 Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe (Heinz 2014, zitiert nach Lewe, 2022).

Trotz einer Reihe von Berichten und Meldungen, die auf den Kollaps des Maßregelvollzugssystems hinweisen, sagt das Land Berlin: “Die Unterbringung dient sowohl der Besserung und Sicherung der Patientin bzw. des Patienten als auch der Verbrechensverhütung, der Gefahrenabwehr und damit der Sicherheit der Allgemeinheit”. Es ist klar, welche Dimension im Vordergrund steht und welche betroffen ist. 

Es ist ebenso notwendig, die Beeinträchtigung der Bereiche der Prävention und der damit engverbundenen Sozialen Arbeit zu thematisieren. Auch hier wird im Aktuellen Haushalt der Bundesregierung, weiterhin an der eh schon mangelhaften Versorgung gespart. Davon betroffen sind z.B. Bereichen der Migrationsberatung, der Ausstattung der Wohlfahrtsverbände und der psychosozialen Beratung.

Hinzukommen Verdrängungen durch Immobilienkonzerne in Großstädten wie Berlin. Diese betreffen nicht nur Wohnraum, sondern auch wichtige Institutionen der allgemeinen Daseinsvorsorge wie Arztpraxen so z.B. die Suchtpraxis am schlesischen Tor in Kreuzberg. Die Eigentümerin der Räume, die luxemburgische Kapitalgesellschaft BR Rhein Sàrl, möchte in Zukunft nicht mehr an die Gemeinschaftspraxis die im Jahr 5.000 Patient*innen versorgt, vermieten. Andere Räume im selben Bezirk konnten bisher nicht gefunden werden.

Das Streben nach Profit untergräbt und schwächt nach wie vor das Gesundheitssystem und schadet damit der Gesundheit der Menschen!

Die Ambulante Versorgung in Bereichen der Prävention, der sozialen Arbeit, Psychotherapie und der Suchtbehandlung gehört ausgebaut!

Keine Einsparungen auf kosten der Gesundheit und Schluss mit den Menschenunwürdigen Bedingungen im Krankenhaus des Maßregelvollzugs!